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San Valentino - ein Tag der Premieren

  • maikebuchholz
  • 17. Feb. 2024
  • 6 Min. Lesezeit
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14. Februar, Valentinstag – ein Tag, der mir bislang, gelinde gesagt, völlig schnuppe gewesen ist. Ich mag keine Blumensträuße (bekommen), auch keine romantischen Karten, das ist ähnlich wie mit dem Muttertag: Entweder zeigt man(n) mir seine Liebe möglichst das ganze Jahr über oder gar nicht. Einen Alibitag finde ich lächerlich. Und Kolja sieht das ähnlich, insofern passt das für uns. An diesem Valentinstag ergab sich, mehr zufällig, eine Gelegenheit, das jetzt einmal anders machen. Ich schrieb bereits darüber, dass wir dieses Jahr ein bisschen mehr Kultur ins Workation-Leben bringen wollen, und so haben wir ein weiteres Mal Karten gekauft bei dem Orchestra Barocca Siciliana. Ein Abend im Geiste von Farinelli, dem berühmten Kastratensänger (das bedeutet, dass ihm vor Beginn des Stimmbruchs die Hoden entfernt wurden, damit seine Stimme so rein und so hell bleibt, wie als Junge) aus dem 18. Jahrhundert. Musik von Bach, Händel und ein paar italienischen Größen. Dazu ein Valentinsdinner – na, das ist doch was für uns.

So machen wir uns abends um Sieben auf den Weg in das Grand Hotel Villa Politi, Siracusas feinste Herberge, wo schon Könige, Prinzen, aber auch Winston Churchill genächtigt haben. Es ist ein milder Abend, der Weg bis dorthin nicht lang, das Hotel liegt praktischerweise in dem Viertel, in dem wir auch wohnen.

Als wir die Auffahrt betreten, fühlen wir uns schon ein wenig wie in einer anderen Zeit. Was für ein wundervolles Ambiente. Wir steigen die Treppe hoch und landen mit dem Eintritt in das Hotel in einer anderen Welt. Das ganze Haus atmet Geschichte, Plüsch und Vertiko, wie schön.

Versammelt hat sich an diesem Abend ein weiteres Mal das Bürgertum Siracusas, vor allem ältere Menschen jenseits der 60 begeistern sich für das kulturelle Angebot des OSB. Zur Begrüßung gibt es ein Glas Prosecco und kleine Mini-Arancinis mal mit Gemüse, mal mit Cous-Cous gefüllt. Wir sitzen an einem Zweier-Tischchen in der Lobby des Hotels, um uns herum Gewusel, Menschen, die lachen, sich kennen und unterhalten. Einen Moment lang macht mich das ein bisschen müde, wie wird das wohl werden heute Abend? Sitzen wir an einem Tisch, wo sich alle auf Italienisch austauschen und wir sitzen höflich lächelnd dabei?

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Dann öffnet sich die Tür zum Saal, wo das Konzert und das Essen stattfinden werden. Der Saal ist unglaublich prachtvoll mit riesigen Kronleuchtern und schön gedeckten Tischen mit Kerzenleuchtern. Alle Tische haben einen Städtenamen, nach den Orten, wo Farinelli Triumphe gefeiert hat. Bologna, London, Rom, Vienna, sind die, die ich mir gemerkt haben. Es gibt eine Tischordnung und wir sitzen am Wiener Tisch. Der Veranstalter hat mit Bedacht die Stranieri hier platziert, zusammen mit jüngeren Italienern, die ein bisschen Englisch sprechen können. Meine Sorge, dass das ein schweigender Abend werden wird, war unbegründet. Links neben mir sitzt eine Frau aus Weißrussland, die mit ihrem italienischen Ehemann sieben Jahre lang dort gelebt hat, in der Nähe der ukrainischen Grenze. Seit sieben Monaten sind sie jetzt in seiner Heimat, hier auf Sizilien, zusammen mit der kleinen Tochter, die nun hier die Schule besucht. Ihren Mann nennt sie konsequent „Amore“, in den Pausen gehen sie in die sehenswerte Lobby und machen dort Fotos von sich. Sie turteln wie gerade kennengelernt, es macht Spaß, das mit Anzuschauen. Einen Platz neben ihnen sitzt ein weiterer Deutscher, der für ein paar Wochen hier Station macht, er kommt aus Mannheim und schreibt mit einem Freund an einem Buch über türkische Geschichte, er geht auch gerne in das Biblios Café in Ortigia, möglicherweise werden wir ihn dort noch einmal treffen. Rechts von uns sitzt ein recht ernsthaftes, junges italienisches Paar, sie bereits fertige Rechtsanwältin, er noch kurz vor dem Examen. Mit ihnen unterhalten wir uns – natürlich – über die Bedeutung des Essens in Italien, warum nichts verschwendet wird und warum das so ist. Er lobt, wie eigentlich alle, die fragen, woher wir kommen, die deutsche Effizienz, und bewundert, was wir in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg so alles geschafft haben. Mich erstaunt das immer wieder, sehe ich doch eher den Glanz, der allerhand Patina bekommen hat und die Tücken der Zeit, die sich in maroden Straßen, Bahnproblemen und anderem zeigen. Etwas, von dem die Bewunderer des teutonischen Fleißes in der Regel nichts wissen.

Wir genießen diese Unterhaltungen auf Englisch. Kein Radebrechen, sondern einfach schöne Gespräche.

Die Musik beginnt!


Als erstes spielt das Ensemble des heutigen Abends ein Stück von Bach, das kenne ich und es gehört zu meinen Lieblingsstücken, Concerto No. 3 in G-Dur. Ich bin ein bisschen stolz auf mich. Ich habe mir die Freude an klassischer Musik „hart“ erarbeitet, zu Hause spielte das nicht so eine große Rolle. Klassische Musik wurde in Form von Fernsehsendungen wie „Erkennen Sie die Melodie“ oder „Anneliese Rothenberger gibt sich die Ehre“ konsumiert, meisten bei Oma Ida, die, wenn sie ein Stück erkannte, mitsummte oder sang. Wurden Opernarien gespielt, war sie eine große Kritikerin und vieles fiel dann bei ihr durch mit dem ostpreußischen Wort „Gegnause“. Zu Weihnachten habe ich mir mal, inspiriert durch den Katalog des Bücherbundes, eine Vier-Kassetten-Edition von Karajan gewünscht und dann bis zum Abwinken Mozarts Kleine Nachtmusik gehört. Das war’s an musikalischer Vorbildung in Sachen Klassik.

Weiter geht es nun mit Werken, die auch Farinelli gesungen hat. Ein Sänger aus Rom, er heißt Francesco Divito, hat – so steht es im Internet – aus einer Laune der Natur heraus keinen Stimmbruch gehabt (hoffen wir mal, dass das so stimmt….) und daher eine Singstimme wie ein weiblicher Sopran. Das klingt erst einmal ungewohnt in meinen Ohren, nach kurzer Zeit aber entspanne ich und empfinde eine Art Genuss. Vor allem lenkt es mich auch von meinem Magen ab, der fröhlich angefangen hat zu knurren. Es ist halb neun, das Programm ist im vollen Gange und vom Abendessen ist noch nichts zu sehen. Nach drei Titeln macht der Farinelli der Neuzeit Pause, weil die Stimme eine Erholung braucht, dafür spielt das Orchester jetzt ein weiteres kleines Concerto und holt dazu einen Musiker mit Blockflöte auf die Bühne. Schon bei den ersten Tönen schweife ich in Gedanken ab. Höre und sehe ich Blockflöte, erinnert mich das immer an einen Grundschullehrer von mir. Herr B. hat uns damals, Anfang der 70er Jahre, auch in Musik unterrichtet. Im Musikraum hat er zahllose unterschiedliche Flöten aufbewahrt und einige von uns haben auch Blockflötenunterricht erhalten. Er war ein Mann alten Kalibers und so kamen insbesondere die Jungen in der Klasse in den Genuss einer Ohrfeige, wenn sie ihm zu frech erschienen. Wir hatten Angst vor ihm und Angst, auf der Flöte zu versagen.

Nach dem Schlussakkord verabschieden wir den Mann mit verhaltenem Beifall von der Bühne, und weiter geht es mit dem großartigen Sänger, der den zweiten Teil des Programms mit weiteren drei Arien und einer Zugabe beendet. Es gibt großen Applaus und dann geht es – mittlerweile ist es halb zehn – endlich mit dem Essen los.

Es gibt erst einmal Brötchen, Stockfisch mit lila Wirsingpüree, das schmeckt sehr gut in der Kombination. Als zweiten Gang wird Safran-Risotto mit Garnelen serviert und ich versuche mich daran. Ehrlich, mir hat sich noch nie erschlossen, was an Risotto das Besondere ist. Für mich ist das Reispamps, meinem Gaumen schmeichelt er nicht. Ganz im Gegenteil zu unserem italienischen Tischnachbarn, der sich nicht nur eine zweite, sondern auch noch eine dritte Portion servieren lässt. Ich kämpfe mit dem, was auf meinem Teller ist, würde gerne die Hälfte liegen lassen, bin auch schon satt, aber das scheint keine gute Idee zu sein. Niemand der anderen Gäste, lässt auch nur einen Krümel auf dem Teller zurück. Alles spiegelblank weggefuttert. Also nehme ich mich zusammen und esse auch noch den Rest auf. Als der Kellner die Teller abdeckt, lächelt er mich an und fragt:“Finito? – Geschafft?“. Er hat wohl bemerkt, wie ich mit dem Risotto gekämpft habe. Weiter geht es mit einem Umber oder Schattenfisch, dazu Brokkolischaum und kleine Mini-Stückchen von getrockneten Tomaten. Hier bin ich nun wieder dabei, die Portion ist übersichtlich, prima. Ein Blick auf die Uhr, es ist jetzt 23:00 Uhr, der Abend noch nicht vorbei, passend zum Valentinstag gibt es jetzt noch ein Dessert in Herzform. Mousse au Chocolat mit rotem Überzug. Nun denn, es schmeckt überraschend weniger süß, als erwartet. Um halb zwölf stehen die meisten übergangslos auf, der Abend ist beendet. Wir sind froh über den kleinen Verdauungsspaziergang, der jetzt noch auf uns wartet, auf dem Weg nach Hause. Wir bereiten uns gedanklich, auf eine möglicherweise unruhige Nacht vor, so spät essen und vor allem so viel – das kann nichts Gutes bedeuten. Aber wir irren. Die Nacht ist ruhig, kein Bauchgrimm, sondern überraschend störungsfreier Schlaf. Machen die Italiener mit der späten Mahlzeit doch alles richtig? Wer weiß.

Das Resümee für uns: wir haben uns schon ein bisschen romantisch gefühlt, die Musik, das Ambiente war ein schönes Paarerlebnis. Vielleicht bringen wir davon ein bisschen was davon mit nach Deutschland und pflegen das dort weiter.

 
 
 

1 Kommentar


Gast
17. Feb. 2024

Ein Vergnügen, Deine Berichte zu lesen und an Eurer Zeit in Sizilien, den kulinarischen Genüssen und Deinen Gedanken teilhaben zu dürfen.

Freue mich schon auf den nächsten Beitrag aus Bella Italia

🥰 Angela


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