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Es muss nicht immer Sizilien sein - drei Tage auf den Spuren der Ahnen unterwegs in Hessen

  • maikebuchholz
  • 4. Mai
  • 7 Min. Lesezeit
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Tag 1 – Es geht nach Kirchhain

Ostern und der Maifeiertag lagen dieses Jahr arbeitnehmerfreundlich beieinander und so habe ich zwischen Ostermontag und dem 02. Mai frei, und nur zu Hause bleiben kommt nicht in Frage. Neben Fahrradtour und einem Ausflug nach Maastricht steht ein mehrtägiger Trip ins hessische Mittelgebirge auf dem Programm. Koljas Stammbaum weist aus, dass es dort mehrere Vorfahren gibt, deren Wege er jetzt nachgehen möchte. Gut, da bin ich doch dabei.  Da wir beide das Deutschlandticket besitzen, bietet sich natürlich die Fahrt mit der Deutschen Bahn an, außerdem, und das wissen ja mittlerweile alle, die uns kennen, reisen wir gerne mit dem Zug, allen Unbillen zum Trotz.

Doch als wir an diesem Morgen bei bestem Wetter und gutgelaunt am Krefelder Bahnhof ankommen und wir auf der Anzeigetafel sehen, dass die von uns favorisierte Verbindung nach Köln ausfällt, sehen wir uns ein wenig resigniert an, schnell entscheiden wir uns, erst einmal nach Düsseldorf zu fahren (dieser Zug steht schon bereit) und dann zu schauen, wie es weitergeht. In Düsseldorf angekommen stellen wir schnell fest, dass das heute wohl nichts mit einer reibungslosen Fahrt wird. Die avisierte Anschlussverbindung hat erst 8, dann 15 und schließlich 60 Minuten Verspätung. Somit ist klar, wir brauchen eine Alternative. Fix buchen wir mit dem Handy zähneknirschend ein ICE-Ticket nach Köln-Messe, dort erreichen wir dann einen Regionalexpress bis Siegen.


Um es kurz zu machen: Mit weiteren Verspätungen und einem Umstieg in Gießen erreichen wir unser erstes Ziel „Kirchhain“ nach sieben, anstatt 4,5 Stunden.  Ich frage mich, warum ich mich nicht mehr aufrege. Es sind immer die gleichen Mitteilungen: „Brücke beschädigt“, Verspätung aus einer früheren Fahrt“, „Notarzteinsatz am Gleis“, „Stellwerksstörung“, um nur einige zu nennen. Wer viel Bahn fährt, macht sich Sorgen um dieses Land. Wir auf jeden Fall.

Dennoch: wir kommen heil an, es ist warm und wir sind in Kirchhain, ein kleines Städtchen im Mittelhessischen, mit allen Dörfchen drumherum keine 15.000 Einwohner, und ziemlich alt. Es gibt noch ein steinernes Stück aus der Jungsteinzeit, hier haben sich also schon vor langer, langer Zeit Menschen angesiedelt. So was interessiert uns, wir sind Zeugen von Geschichte.

Doch bevor wir uns aufmachen, den Ort zu erkunden, bringen wir unser schmales Gepäck in das Hotel „Zur Sonne“. Gerne wären wir auch im nur wenige Kilometer entfernten Marburg abgestiegen, allein die Hotelpreise haben uns hierhin wechseln lassen. Wir gehen durch den Schankraum hinein, hier sitzen kurz nach 5 eine Handvoll einheimischer Trinker und lassen sich das frischgezapfte Bier schmecken. Wir werden sehr herzlich vom Inhaber begrüßt, der uns gleich duzt und auf alle Anmeldeformalitäten verzichtet, wir bekommen den Schlüssel in die Hand gedrückt und schauen uns ein wenig um. Es gibt neben einem größeren Restaurantbereich auch eine kleine Außenterrasse, die Speisekarte bietet allerlei Speisen, die uns zusagen, und so beschließen wir, heute das Abendbrot hier einzunehmen.

Das Hotel und unser Zimmer an sich sind ein wenig in die Jahre gekommen. Das Interieur verströmt ein bisschen 70er-Jahre-Atmosphäre, das Waschbecken in dunkler Keramik mit Sprung, aber es ist sauber und ruhig. Immerhin.



Nach einer kurzen Pause machen wir uns auf zu einem ersten Spaziergang und gleich beim ersten Fachwerkhaus werden wir fündig.  Ein Haus namens „Der blaue Löwe“ weist auf einer Tafel aus, dass dort der Barockdichter Eberhard Werner Happel (*1647 – gest. 1690) gewohnt hat. Dieser Schriftsteller ist einer der Vorfahren von Kolja und hat zu Lebzeiten eine Vielzahl an Büchern verfasst, darunter eine Schwarte namens: „grössester Denkwürdigkeiten der Welt oder so genandte Relationes curiosae“ – laut Kolja eine Sammlung von merkwürdigen Geschichten über seltsame Begebenheiten. Seine Kollegen bzw. Konkurrenten haben Happel übrigens einen „elenden Skribenten“ genannt, ein Ausdruck, der mir so gut gefällt, dass ich ihn zukünftig für Autoren verwenden werde, deren Bücher mir nicht gefallen.


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Kolja macht Fotos, ist hochzufrieden und so schlendern wir weiter zum Marktplatz, der neben dem Rathaus und einer Vielzahl an Fachwerkhäusern auch eine Pizzeria und ein Eiscafé beherbergt. Wir ziehen weiter zur Kirche, vorbei am Menhir von Langenstein, dem jungsteinzeitlichen Zeugnis, und dem Hexenturm. Mich schaudert ein wenig, hier ist eine Frau namens  Katharina Lips um 1672 als Hexe hingerichtet worden. Ich berühre den Turm mit beiden Händen, frage mich, wie weit wir uns weiterentwickelt haben, wie viel Ferne uns wirklich von Barbareien aller Art trennt.

Nach gut einer Stunde haben wir alles besichtigt, was es im Stadtzentrum zu sehen gibt, und so lassen wir uns das Abendbrot schmecken – kurz nach 21 Uhr sind wir auf dem Zimmer, so müde, dass wir sofort ins Bett gehen und wenige Augenblicke später eingeschlafen sind.

 

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Tag 2 – Marburg

Kurz nach neun stehen wir schon wieder am Bahnhof und fahren nach Marburg, der zweiten Etappe unserer kurzen Reise. Es wird warm heute und so habe mich mir Schwimmzeug mit eingepackt, es gibt dort ein großes Schwimmbad, eine Abkühlung kommt mir bestimmt recht.

Der Zug fährt ein und bereits 10 Minuten später sind wir angekommen, überqueren vom Bahnhof kommend die Lahn, ich notiere in Gedanken, dass es an der Ecke eine Eisdiele gibt, die zu den 15 besten in Deutschland gehören soll. Hier wird es später was zum Schlecken geben. Erste Station ist die evangelische Elisabethkirche. Ich bin verdutzt. Protestantische Gotteshäuser und katholische Heiligennamen, wie geht das zusammen? Kolja mutmaßt, dass es daran liegt, dass die Kirche einst zur katholischen Kirche gehörte. Die Kirche öffnet um 10 Uhr, das dauert noch ein paar Minuten, so umrunden wir sie in gemächlichem Tempo und sind dann die ersten die Schlag 10 die Pforten öffnen. Innen drin fällt mir als erstes auf, dass es keine Kirchenbänke gibt, nur Bestuhlung und der Altarraum besteht aus einem gestalteten Vorhang.


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Ich setze mich, betrachte alles in Ruhe und stelle fest, dass – obwohl ich vor Jahrzehnten aus der katholischen Kirche ausgetreten bin, den katholischen Dünkel bis ins Mark in mir trage. Ich bin groß geworden und auch mit dem Denken erzogen worden, dass die katholische Religion die bessere ist. Feierlicher, wahrhaftiger, was auch immer. Das bekomme ich offensichtlich nicht aus meinem Fühlen: Stühle anstatt Kirchenbänke und ich rümpfe die Nase. Aber ich bin heute gnädig mit mir und lache leise beim Betrachten meiner eigenen Kleingeistigkeit. Den Vorhang finde ich trotzdem schrecklich.



Weiter geht’s in Richtung Oberstadt. Der Name kündet von vielem bergauf, und wer mich kennt, weiß, dass ich mich nicht gerne auf zwei Beinen nach oben bewege. Marburg kommt uns jedoch entgegen und bietet an vielen Stellen einen Aufzug an, der einen in wenigen Augenblicken in die Altstadt von Marburg bringt. Kolja würde zwar lieber die anstrengende Variante zu Fuß nehmen, hier setze ich mich aber durch. Und das ist auch gut so: Der Aufstieg zum Marburger Schloss wird wenig später den Herzschlag nach oben treiben.

Die Marburger Oberstadt ist allerliebst, ich bin sofort verliebt. Alte Häuschen, Kopfsteinpflaster, wunderbare kleine Läden, durch die Sonne alles in schönstes Licht getaucht. Auf dem Marktplatz kehren wir ein und beobachten die Vorbereitungen für den „Tanz in den Mai“ am Abend. Am nächsten Tag im Zug werde ich einem Gespräch lauschen, wo zwei Studentinnen sich darüber aufregen, dass da nur „so’n Schlagerzeugs gespielt wurde“, haben wir also nichts verpasst.


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Frisch gestärkt geht es hinauf zum Schloss, schon nach wenigen Minuten fange ich das Hadern an, ob sich das noch mal ändern wird. Anstatt mich in die Situation hineinfallen zu lassen, schimpfe ich vor mich hin, das Gesicht rot vor Anstrengung, die ungewohnte Höhenluft, all das macht mich zu einem Bündel Mensch, das aussieht wie der leibhaftige Widerwillen. Irgendwann habe ich es geschafft und entspanne mich bei der Aussicht, die sich mir bietet. Ein Blick über die Dächer von Marburg und ein bisschen auch in die Bergwelt des Mittelgebirges. Wir spazieren gemütlich bergab (Hurra!!!) und machen im Barfüßercafé einen kleinen Mittagsstopp. Kolja hat sich vorab um eine kulinarische Auswahl bemüht und es ist wirklich schmackhaft.



Danach trennen sich unsere Wege – es wird immer wärmer, und so wird es Zeit für mich, meine lose Reihe „Schwimmbäder in Deutschland“ um einen Halt im Marburger „Aquamar“ zu ergänzen.  Und wie wunderbar, der Weg dorthin, etwa 20 Minuten von der Oberstadt entfernt, ist nett zu laufen, das Schwimmbad selbst ein 80er-Jahre-Tempel, wenig besucht um diese Zeit, und ich habe eine Stunde schwimmen vor mir. Das Wasser kühlt angenehm und es entspannt mich, meine Bahnen zu ziehen.

Zum späten Nachmittag treffen Kolja und ich uns in einem netten Café, leider ohne Toilette, so dass wir hier rasch wieder aufbrechen und den Weg Richtung der prämierten Eisdiele (mit WC!!) einschlagen. Das Eis schmeckt leider nicht im Entferntesten nach Auszeichnung, also ab nach Kirchhain.

Nach 12 gelaufenen Kilometern und viel Schwimmerei endet auch dieser Abend vor Zehn mit einem müden „Licht aus“.

 

Tag 3 – Schweinsberg


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Auch heute sind wir wieder früh auf den Beinen, bevor es wieder heimwärts geht, soll es noch einen Abstecher nach Schweinsberg geben.

Dorthin fährt jedoch kein Zug, wir müssen mit dem Bus hin, der an Feiertagen aus einem sogenannten AST (Anrufsammeltaxi ) besteht, bei dem man sich vorher anmelden muss. Ich habe für uns die Hin- und Rückfahrt vorbestellt, mache mir jedoch Gedanken, ob das alles so klappen wird. Falls nicht, hängen wir in einem Dorf fest, wo es nicht einmal ein Café oder Büdchen gibt. Aber es gelingt alles, auch hier mache ich mir mehr Sorgen als nötig.

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Schweinsberg, hier gab es ebenfalls Vorfahren von Kolja, diesmal in Person eines Pfarrers, der nicht nur Predigten hielt und Seelsorge betrieb, sondern auch astrologische Zeichnungen erstellt hat. Die Kirche wird gerade maifertig geschmückt, ist schnell erkundet, und schon haben wir alles besichtigt. Da noch Zeit bis zur Rückfahrt ist, machen wir einen Spaziergang zum Schweinsberger Moor, und hier erwartet uns Natur pur. Vogelgezwitscher, quakende Frösche und unberührte Landschaft. Wir setzen uns auf eine Bank, ich schließe die Augen und atme tief durch. Meine Schultern senken sich in dieser Idylle auf ihre normale Höhe, wie entspannend ist das. Wir spintisieren ein bisschen rum, ob das hier nicht auch eine Gegend sein könnte, wo man in Ruhe leben kann, ohne die Verhältnisse, wie in Krefeld, mit all dem Lärm und Dreck .  Wer weiß, wo das Leben uns noch hintragen wird.

Zum vereinbarten Zeitpunkt kommt das Sammeltaxi und bringt uns  zum Bahnhof nach Stadtallendorf, wo wir unsere Rückfahrt nach Hause antreten. Schön war’s in Hessen, hier möchte ich noch mal hin.

 

 

 

 

 

 

 
 
 

2 Kommentare


Gast
05. Mai

Danke liebe Maike, ich bin wieder mitspaziert.. es hat mir sehr gefallen. Du hast Recht, warum nur von Siracusa erzählen? Alles ist interessant.

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Gast
05. Mai
Antwort an

Lieben Dank, wer immer du auch bist schön, wenn es dir gefallen hat.

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